Lehm verbindet Menschen

Lehm verbindet Menschen

Martin Rauch über Handwerk, Nachhaltigkeit
und das Potenzial von Walz 4.0

Die Baubranche steht unter Druck – wirtschaftlich, ökologisch und sozial. Martin Rauch, Pionier des modernen Lehmbaus, bringt es im Interview auf den Punkt: „Die Konzepte sind da, die Wünsche nach nachhaltigem Bauen auch – aber umgesetzt wird nur ein Bruchteil.“ Vor allem im Wohnbau scheitert Nachhaltigkeit häufig an den Kosten. Der Lehmbau, eine der ältesten und zugleich ökologischsten Bauweisen der Welt, bleibt trotz wachsender Aufmerksamkeit eine Randerscheinung.
Dabei bietet der Baustoff Lehm alles, was es für zukunftsfähiges Bauen braucht: Er ist lokal verfügbar, gesundheitlich unbedenklich, kreislauffähig und speichert thermische Energie. Was ihm fehlt, ist ökonomische Wettbewerbsfähigkeit – denn Lehm erfordert Handarbeit. Und genau hier setzt Rauch an: Mit seinem Unternehmen Lehm Ton Erde optimiert er kontinuierlich Arbeitsprozesse und entwickelt Maschinen, die schwere Arbeit erleichtern. „Wir arbeiten heute mit Stampflehm wie man vor 80 Jahren mit Beton gearbeitet hat. Wenn wir auch nur einen Bruchteil der Innovationskraft, die in den Beton geflossen ist, in den Lehmbau stecken würden – wir wären schon viel weiter.“
Rauch plädiert für ein Umdenken auf vielen Ebenen: Es braucht mehr ausgebildete Fachkräfte, Architekt*innen mit Materialverständnis, eine klare politische Förderung nachhaltiger Bauweisen – und vor allem mehr Raum für Wissensaustausch. Hier sieht er großes Potenzial im Projekt Walz 4.0, das jungen Menschen praktische Einblicke in innovative Handwerksbetriebe ermöglichen will. Denn: „Lehm ist nicht nur ein Material, Lehm ist ein soziales Bindemittel. Wer sich auf Lehm einlässt, teilt eine gewisse Haltung – zum Leben, zur Arbeit, zur Welt.“


Doch der Alltag ist komplexer. Die bürokratischen Hürden für die Aufnahme von Gesell*innen auf der Walz sind hoch – etwa bei Lohnregelungen, Versicherung oder rechtlicher Absicherung. „Früher war das einfacher. Da konnte jemand zwei Monate mitarbeiten, mitlernen, mitgestalten. Heute ist das kaum mehr administrierbar.“ Eine moderne Walz braucht laut Rauch neue rechtliche Rahmenbedingungen – vergleichbar mit Bildungszeit, Werkverträgen oder Praktikumsmodellen.
Er selbst hat über Jahrzehnte hinweg jungen Menschen einen Zugang zum Lehmbau eröffnet – durch Projekte, bei denen das gemeinsame Tun im Zentrum stand. „Ich glaube nicht an klassische Workshops. Ich glaube an das Lernen durch Machen. Nur wer das Material in der Hand hatte, versteht, was es kann.“
Lehm ist für Martin Rauch mehr als Baustoff – er ist Ausdruck eines anderen Bauverständnisses. Vergänglichkeit wird nicht versteckt, sondern gestaltet. Eine Fassade darf altern, Erosion kann Teil des Entwurfs sein. „Es braucht eine neue Wertschätzung für das Einfache, das Unperfekte, das Veränderbare – wenn wir wirklich nachhaltig bauen wollen.“ Projekte wie Walz 4.0 könnten dafür ein wichtiger Impuls sein – wenn es gelingt, Freiräume für Begegnung, Erfahrung und Transformation zu schaffen.